Jubiläum der hl. Hildegard

Jubiläum der hl. Hildegard

Rede zum Hildegardisfest am 17. September 2022 

Verehrter Herr Weihbischof Dr. Löhr, ehrwürdige Schwestern, liebe Gläubige, 

zunächst möchte ich mich bei Herrn Pfarrer Fischer und dem Hildegard- Ausschuss für die Gelegenheit bedanken, heute zu Ihnen an diesem besonderen Festtag zu Ehren der Heiligen Hildegard zu sprechen. Als mich Pfarrer Fischer vor vier Jahren bat, am Hildegardisfest eine Rede zu halten, fühlte ich mich zunächst sehr geehrt, aber dann auch verunsichert, ob ich dafür überhaupt die geeignete Person bin. Ich bin nicht, wie viele meiner Vorgängerinnen hier am Rednerpult, Ordensfrau oder Theologin, sondern leite die St. Ursula-Schule in Geisenheim, eine katholische Privatschule in der Trägerschaft der St. Hildegard Schulgesellschaft des Bistums Limburg. Sie konnten eben einer Darbietung unserer Schulmusiker lauschen, eine weitere folgt nach meiner Ansprache. Als ich Herrn Pfarrer Fischer gegenüber meine Bedenken äußerte, konnte er diese jedoch überzeugend zerstreuen und ich möchte heute hier zu Ihnen sprechen als Frau des 21. Jahrhunderts unter der Fragestellung, was mir persönlich Hildegard bedeutet. Dabei hoffe ich, mit meinen Ausführungen die Aktualität von Hildegards Wesen und Wirken zu unterstreichen und Frauen in unserem Jahrhundert, knapp eintausend Jahre später also, zu inspirieren, es dieser bewunderungswürdigen starken Frau nachzutun. Ich lebe seit über 40 Jahren in Rüdesheim, unweit der Abtei St. Hildegard und der Pfarrkirche in Eibingen. Mein Arbeitgeber ist, wie bereits erwähnt, die St. Hildegard-Schulgesellschaft des Bistums Limburg, die vor 21 Jahren die St. Ursula-Schule von den Ursulinen übernommen hatte. Sehr viel Hildegard also, aber ich möchte auch zwei andere Frauennamen und Heilige nicht unerwähnt lassen, die für unsere Schule von Bedeutung sind. Knapp 400 Jahre nach Hildegard erblickte Angela Merici in Italien das Licht der Welt. Sie gründete die Compagnia Sant’Orsola, aus der sich der Orden der Ursulinen entwickelte. Die Namensgeberin des Ordens, die Heilige Ursula, gilt unter anderem als die Patronin der Erzieher und Erzieherinnen. So erklärt sich auch die Zielsetzung der Ursulinen, wie ihre Gründerin Angela Merici, Erziehung und schulische Bildung für zunächst junge Mädchen zu ermöglichen. Mittlerweile gibt es weltweit Ursulinenorden und -schulen, die inzwischen auch teilweise koedukativ ausgerichtet sind. Angela und Hildegard waren beide hochgebildete, wissbegierige Frauen, wenngleich sie auch keinen systematischen Unterricht wie Männer an den Domschulen oder den ersten Universitäten erhalten hatten. Besonders Hildegards Neugier, ihr Eifer und ihre Disziplin beeindrucken mich sehr. Für heutige Schülerinnen und Schüler, die die Schulpflicht häufig eher als Last denn als Privileg und Chance empfinden, ist der Bildungshunger Hildegards nur schwer nachvollziehbar. Im Zeitalter von IT und Digitalisierung ist es für Jugendliche unvorstellbar, wie Hildegard in ihrer Klause beispielsweise ihre Visionen niederschrieb- in lateinischer Sprache ritzte sie Wörter mit einem Griffel in Wachstafeln, die nach einer Korrektur im Scriptorium am Disibodenberg mit Tinte auf Pergament übertragen wurden. Welche Mühsal, mögen heutige Schülerinnen und Schüler denken! Wie bewunderns- und beneidenswert denke ich, eine solche Antriebskraft sucht ihresgleichen. Diese Antriebskraft und ein daraus resultierender Kampfesgeist, auf den ich später noch eingehen werde, fußt auf Hildegards Glauben und ihrer Überzeugung, dass jeder Mensch sein Leben selbst gestaltet und dafür die Verantwortung trägt. Darauf basierend ist auch die Bildung unserer Ursulinenschule ausgerichtet. Wir wollen persönliche Stärken unserer Schülerinnen und Schüler festigen, damit sie ein selbst bestimmtes Leben in Freiheit und dem Bewusstsein ihrer selbst führen können. Hildegard war aufgrund ihres tiefen Glaubens eine starke Frau und ihrer Zeit voraus. Neben ihren Verdiensten als Kirchenlehrerin, Heilkundige, Dichterin und Komponistin beeindruckt sie mich mit ihrem Einsatz, ihrer Kraft und ihrem Widerspruchsgeist, den sie als Äbtissin an den Tag legte. Als Nachfolgerin von Jutta von Sponheim agierte sie als Klostervorsteherin und unterwies ihre Mitschwestern in Glaubensfragen, musste aber auch den Unterhalt des Klosters sichern. Ihr mutiger Schritt in die Selbständigkeit mit ihrem Vorhaben der Klostergründung auf dem Rupertsberg stellte ihr Durchsetzungsvermögen und ihre Widerstandsfähigkeit unter Beweis. Auch nach der erfolgreichen Klostergründung bei Bingen gab es immer wieder Situationen, in denen Hildegards Selbstbewusstsein, ihr Kampfesgeist und ihr Durchsetzungsvermögen gefragt waren. Sie trug zu Recht den Namen Hildegard bedeutet der doch so viel wie Ort des Kampfes oder Ort der Entscheidung. So musste sich Hildegard wiederholt mit Abt Kuno vom Disisbodenberg auseinandersetzen, als es beispielsweise um ihr Hilfsgesuch nach finanzieller Unterstützung in den ersten Jahren nach der Klostergründung ging. Vehement musste sie diese einfordern, da die Schenkungen an die damalige Frauenklause im Kloster Disibodenberg verblieben waren. Und es gelang! Als Abt Kuno Hildegards ehemaligen Lehrer und Berater, den Mönch Volmar aus dem Kloster Rupertsberg wieder zurück auf den Disibodenberg holen wollte, machte sich eine schwerkranke Hildegard auf den Weg zum Disibodenberg, um dort unangemeldet im Kapitelsaal forsch und fordernd vorzusprechen. Auch diese Unternehmung war erfolgreich und Volmar konnte auf dem Rupertsberg bleiben. 1000 Jahre nach Hildegard wünsche ich mir häufig den Mut und die Durchsetzungskraft dieser bewunderungswürdigen Frau. Als Leiterin einer Schule erfährt man, ebenso wie als Klostervorsteherin vor 1000 Jahren, Konfliktsituationen, die Kraft, Weitsicht und Weisheit erfordern, sei es innerhalb der Schulgemeinde oder in der Auseinandersetzung mit Obrigkeiten. Hildegard- eine starke Frau! Das war sie unbestritten und mehr noch in einer Zeit, in der die Rolle der Frau eine ganz andere war als heute. Deshalb ergibt sich auch die Frage nach Hildegards Rollenverständnis, die Frage, wie sie die Frau und ihre Fähigkeiten einschätzte. Für sie ist die Frau nicht minderwertiger als der Mann und sie ordnet die Frau dem Mann nicht unter. Davon zeugt ihr selbstbewusstes und für ihre Widersacher oft unbequemes Handeln. Der Frau schreibt Hildegard in ihrem Werk „Der Mensch in der Verantwortung“ die Weisheit zu und sagt:“ Die Frau bildet gleichsam das Haus der Weisheit, weil in ihrem Wesen das Irdische wie das Himmlische zur Verwirklichung kommt.“ (1) Hildegards Weisheit und ihr Weitblick beeindrucken mich ebenso wie ihr bereits beschriebenes Durchsetzungsvermögen und ihre eiserne Disziplin. Ich vergleiche ihre Klostergründung auf dem Rupertsberg gerne mit der Gründung unserer Schule vor 128 Jahren, als sich vier Ursulinenschwestern aus Frankfurt nach Geisenheim aufmachten, ausgestattet mit einem Koffer, einem großen Topf und einer alten Landkarte von Afrika, um den Rheingauer Mädchen eine höhere Bildung zu ermöglichen. Ihre Voraussetzungen waren definitiv günstiger als die Hildegards vor 1000 Jahren, ihr Unterfangen brauchte aber ebendenselben Weitblick, dauerhaftes Engagement und die nötige Weisheit, um letztlich zu gelingen. Nun mag so mancher unter Ihnen fragen, inwieweit sich Hildegard mit denen ihr zugeschriebenen Attributen von einem modernen Manager unterscheidet: Kompetenz, Engagement, Brain, Diligence weist sie ebenso auf, wenn man es auch anders bezeichnen würde. Hildegards Fähigkeiten haben nichts an Aktualität verloren, sie sind damals wie heute außergewöhnlich und bewundernswert, basieren sie doch auf ihrem Glauben, auf Gott. Es gibt allerdings noch ein, für mich persönlich ganz wichtiges Attribut, das Hildegard auszeichnet und das Sie nicht in der heute üblichen Diktion der Stellenanzeigen finden: die Seele. Der Seele misst Hildegard, wie auch ich es tue, eine ganz besondere Bedeutung bei. Deshalb hatte ich mir zu meiner Amtseinführung am 17. September 2018 einen Auszug aus Hildegards „Heilkunde“ ausgesucht, in dem sie wieder das Bild des Hauses, ähnlich wie bei der Darstellung der Weisheit, verwendet: „Wenn ein Mensch ein Haus baut, dann macht er an ihm eine Tür und ein Fenster sowie einen Rauchabzug: Durch die Tür will er ein- und ausgehen, um alles Nötige hereinzubekommen; durch die Fenster will er Licht haben, und durch den Schornstein soll der Rauch abziehen, damit das Haus nicht im Qualm verkommt, wenn darin ein Feuer angezündet wird. So sitzt auch die Seele im Herzen wie in einem Haus: Ihre Gedanken schickt sie wie von einem angezündeten Feuer zum Gehirn wie zu einem Schornstein… Hätte der Mensch diese Gedanken nicht, dann fehlte ihm auch die Einsicht, und er würde dastehen wie ein Haus, an dem man Türen, Fenster und Schornstein vergessen hat.“(2) Dass ein Haus und mehr noch, eine Schule beseelt ist, halte ich als Schulleiterin für sehr wichtig. Nur so gelingt wirklich ein ganzheitliches Lehren und Lernen. Grundlage für ein gemeinschaftliches Leben an unserer Schule ist dabei eine christliche Lebensorientierung wie auch die praktizierte Solidarität miteinander und mit benachteiligten Menschen. Die Heilige Hildegard von Bingen wie auch die Heilige Angela Merici sind uns als starke, engagierte und kluge Frauen ein Vorbild. Sie spielen für uns als Schule und Schulgesellschaft eine wichtige Rolle, ebenso auch für die Kirche- denn ohne Frauen gäbe es keine Vergangenheit der Kirche und ohne Frauen wird es auch keine Zukunft der Kirche geben. Frauen haben ein nicht zu unterschätzendes Potential, was uns so auch die Biografie der Heiligen Hildegard zeigt. Es wäre schade, dies ungenutzt zu lassen, indem die Kirche die Frauen übersieht. Es braucht außerordentliche Frauen wie Hildegard, vor 1000 Jahren wie auch heute. Wir können viel von ihr lernen- sie zeigt uns die Wege! Dank sei Hildegard! Dank sei Gott! 

Brigitte Lorenz 

(1) Kerner, Charlotte: „Alle Schönheit des Himmels“. Die Lebensgeschichte der Hildegard von Bingen, Weinheim, 2000, S. 188 

(2) ibid, S. 88

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