Tatort Internet – Unterschätzte Gefahren für Kinder im Netz

Tatort Internet – Unterschätzte Gefahren für Kinder im Netz

Geisenheim. (ma) – Im Artikel 6 des Grundgesetzes heißt es unter ande­ rem: ,,Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“ Die Kinder werden, und seien es nur 500 Meter, in die Schule gefah­ ren genauso wie zum Fußball drei Straßen weiter. Oder es wird eine Or­ tungssoftware auf den Handys instal­ liert, damit man immer weiß, wo das Kind ist. In seinem beeindruckenden Vortrag über die offensichtlichen wie versteckten Gefahren, welche das gro­ße World Wide Web für gerade junge Kinder birgt, hält Günter Steppich den Eltern einen Spiegel vor und man sieht das eine oder andere nachdenkliche Gesicht.

Steppich hat es sich auf die Fahne ge­ schrieben genau über diese Gefahren aufzuklären und doziert regelmäßig an Schulen. Der Wiesbadener Lehrer ist Beauftragter für Jugendmedienschutz und darüber hinaus IT-Fachberater für Jugendmedienschutz am Staatlichen Schulamt für Wiesbaden und den Rheingau-Taunus-Kreis. So kontrolliert wie die Eltern zu sein scheinen, ist es in der Realität nicht. Was und in wel­ chem Umfang die Kinder, besonders gefährdet sind die Jungs, im Netz trei­ ben, ist weit weg von der Wahrneh­ mung der Erziehungsberechtigten. Steppich spricht häufig aus eigenen Erfahrungen. Jüngst sind die Enkel auf dem Sprung in die 5. Klasse und da ist ein Handy doch Pflicht meinen die Kids, weil „alle haben doch eins“. Seine Antwort ist auf so etwas immer, dass er erstmal „alle“ anruft und schauen möchte, ob das wirklich so ist. Die Aus­ einandersetzungen, die man in solch einem Zusammenhang mit seinen Kin­ dern führt, kann man nur verlieren. Man trifft auf Unverständnis, Frust oder totale Ablehnung. Aber man möchte sein Kind ja schützen. Was ist nun wichtiger?

Es gibt mittlerweile Websites, auf de­ nen man kostenfrei Fotos hochladen kann und die per KI (künstlicher Intelligenz) verändert werden. So posiert auf einmal die im Originalfoto angezogene Sabine aus der 5. Klasse nackt und lä­ chelt in die Kamera. So ein Fake startet immens schnell viral durch, sodass sich für eine Richtigstellung gar nie­ mand mehr interessiert. Nur eins von vielen Beispielen. Es gibt in den meis­ten Klassen WhatsApp-Gruppen. Dass man sich bei WhatsApp laut DSGVO erst ab 16 Jahren anmelden darf wissen wohl viele nicht. Günter Steppich, der tagtäglich mit dem Einfluss des In­ternets auf die Kinder konfrontiert ist, appelliert dringlich an Aufklärung so­ wie Vorsichtsmaßnahmen wie zum Beispiel Sicherheitseinstellungen oder Eingrenzungen von Zugängen. Die Frage ins Publikum an die Eltern, wer sich damit auskennt, wird mit nicht mal fünf Stimmen beantwortet. Im Jahr­ gang der 5er-Klassen der Gutenberg­ Schule in Wiesbaden haben 53 Prozent der Schüler ein Smartphone und Zugang mit mobilen Daten. Jedes fünfte Kind hat gar kein Handy. Ein paar Kin­der haben ein Tastentelefon, das auf­ grund von Peinlichkeitsgedanken und möglichem Mobbing durch andere gar nicht erst mit in die Schule genommen wird. Der eigentliche Grund des Tele­fons, Erreichbarkeit für Notfälle oder auch mal einen kurzen Austausch, ist längst hinten runtergefallen.

Ein weiterer Punkt ist die Frage, warum Kinder ihr Handy über Nacht im Zim­mer haben sollten? Welcher Grund spricht dafür? Welche Gründe dage­gen? Es werden Screenshots gezeigt, der Vortrag dreht sich immer noch um die Fünftklässler, dass über 500 Nach­richten in der Klassen-WhatsApp Gruppe über Nacht kursieren. Fotos, deren Urheberrechte man anzweifeln darf, zu Uhrzeiten, wo eigentlich der gesunde Schlaf das Kind zur Ruhe bringen sollte. Will man das als Eltern wirklich und setzt die mögliche Ausein­andersetzung mit dem eigenen Kind in den Hintergrund? Beim Chatten gibt es keine natürlichen Ermüdungserschei­nungen wie zum Beispiel bei sportli­chen Aktivitäten. Günter Steppich fragt bewusst provokativ in das Publikum:

„Vertraue ich meinem Kind?“ Seine Antwort ist ganz klar: in diesem jungen Alter nicht. Kinder, gerade im Alter bis zwölf oder 14 Jahre, können einfach noch nicht souverän mit digitaler Kom­munikation umgehen. Dazu fehlen Erfahrung, Abwägung und ein hinterfra­gender Blick. Er wünscht sich, dass es eine gesetzliche Grundlage gibt, die den Besitz und Gebrauch von Smartphones erst ab 14 Jahren erlau­ben.

Steppich erzählt von Freunden, die in einer Media-Agentur arbeiten mit vie­len Kunden und dort den Bereich so­ziale Medien betreuen. Deren Kindern ist das Smartphone bis zum Erreichen des 16. Geburtstags verwehrt geblie­ben. Natürlich bietet das Internet viele Vorteile wie Informationen, Kommuni­kation und Unterhaltung. Es gibt fünf Milliarden Menschen im Netz und gut zwei Milliarden Websites. Das eigene Kind millendrin (meist) ohne Kontrolle. Der Zugang zu Kindern war für Krimi­nelle noch nie einfacher. Vor allem die Daten, die über die WhatsApp-Gruppen gesammelt werden, sind nicht mehr löschbar. WhatsApp hat eine weltweite Lizenz die Daten zu nutzen, zu verbreiten und zu reproduzieren. Es gibt verschiedene Sicherheitseinstel­lungen für WhatsApp, TikTok oder Instagram, die aber kaum einer kennt und nutzt.

Was vollkommen unterschätzt wird sind die Fotos, die in den Gruppen aus­ getauscht werden, deren Erstellung, Verbreitung und Besitz strafbar sein kann. In dem Moment, wo ein gefälsch­tes (oder echtes) Nacktbild oder viel­leicht auch rassistischer Sticker in die Gruppe gesandt wird, ist jeder in dieser Gruppe automatisch auch Besitzer. Wenn so etwas öffentlich wird, müsste man gewisse Inhalte rein rechtlich der Polizei melden. Aufgrund des meist jungen Alters sind aber die Eltern ver­ antwortlich und könnten strafrechtliche Konsequenzen erwarten, wenn es zur Ahndung kommt. Das alles passiert ohne dass die Eltern meist nicht einen Bruchteil von dem Geschehen auch nur erahnen. Aber, wenn die installierte Ortungssoftware auf dem Handy des Kindes Alarm schlägt, weil das Kind zur üblichen Zeit auf einmal nicht mehr auf dem Schulgelände zu sein scheint, wird sofort das Sekretariat informiert und die Gemüter sind erregt. Dabei hat die Lehrerin den Biologieunterricht auf­ grund des guten Wetters einfach nur mal nach draußen verlegt. Unglaublich gefährlich sind auch die verschiedenen Challenges, zu denen u.a. bei TikTok aufgerufen wird. Kürzlich ging es da­rum, wer sich ein Deo am längsten auf den Arm sprühen kann. Oder in den Mund. Oder eine Challenge, die 100 Aufgaben enthält, die man erfüllen soll, darunter auch einen Geschlechtsakt mit einem Kuscheltier darzustellen. Die Kinder tun das. Sicher nicht alle, aber viele. Und diese Aufnahmen gehen dann viral, bis spätestens am nächsten Tag im Schulbus oder schon vorher auf der Straße, mit dem Finger auf einen gezeigt wird.

Es geht hier immer noch um Darstellungen, die Kinder zwischen zehn und 14 Jahren widerfahren sind. Die Bild­ schirmzeiten steigen, liegen aktuell bei ungefähr 150 Minuten täglich. Ver­gleichbar mit einem Hobby wie Klavier­ unterricht, Tanzen oder Fußball hat sich das Gewicht zum „Hobby Internet“ mehr als deutlich verlagert. Bei Entzug zeigen sich Suchtprobleme wie beim Rauchen oder Trinken. Kontrollverlust, Aggression, Depressionen oder innere Unruhe, um nur einige zu nennen. Sta­tistisch gesehen sind die Jungs deut­ lich mehr gefährdet als Mädchen.

Den Kindern Handy zu verbieten ist nahezu ausgeschlossen in der heuti­ gen Zeit. Man kann sie auch nicht hun­ dertprozentig schützen. Aber aufklären und Nutzungsbedingungen festlegen wie zum Beispiel, dass das Handy nachts nicht im Zimmer oder auch während der Hausaufgaben nicht greif­ bar ist. Dass diese Aufklärungen an Schulen unterrichtet wird scheint in weiter Ferne. Viele Tipps, Anregungen und auch Beispiele, was sich alles um dieses Thema dreht gibt es auf www.medien-sicher.de. Dort findet sich ebenso ein Test wie fit man selbst in der Medienerziehung ist. Der Dank für diesen Abend und die Organisation geht an die Sozialarbeiter der St. Ursula Schule wie Rheingauschule, die in Kooperation das Thema für die Eltern aufbereitet haben. 

Artikel wurde vom Rheingau Echo freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

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