Chronik USA-Austausch

Austausch mit Tradition:
St. Ursula in den USA seit 1960

„Ambassadors of Youth – Destination Deutschland“ – diesen Namen gab sich die Gruppe amerikanischer Schüler und Schülerinnen, mit der unser bis heute existierender USA-Austausch im Jahr 1960 begann.

Der „Gründervater“ Mr Gerald Liepert (Jerry), damals 30 Jahre jung, initiierte dieses Projekt mit viel Enthusiasmus und Herzblut. 1952 war Mr Liepert als Besatzungssoldat in Deutschland stationiert; dies gab ihm Gelegenheit seine deutsche Verwandtschaft in Schlangenbad kennenzulernen. Seine deutschen Wurzeln spielten eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung der Idee eines Schüleraustauschprogramms. Es sollte allerdings noch acht lange Jahre dauern, bis die Idee Realität wurde.

1960, nur 15 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, war auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten die wirtschaftliche Lage für viele Menschen nicht rosig. Viele Schüler der Muskego High School in Wisconsin zeigten großes Interesse an Mr Lieperts Projekt, hatten aber nicht die finanziellen Mittel ($640), um an einer sechswöchigen (!) Reise in die alte Welt teilnehmen zu können.

Nun waren Einfallsreichtum und der sprichwörtliche amerikanische Pioniergeist gefordert. Durch eine Reportage über die geplante Reise im Radio und Fernsehen und durch zahlreiche ‚fund raising‘ Aktionen wurden Gelder aufgetrieben, sodass nicht nur amerikanische Schüler unterstützt werden konnten, sondern sogar Geld übrig blieb, um der deutschen Gruppe, die im darauffolgenden Jahr nach Muskego, Wisconsin reiste, ein abwechslungsreiches Programm bieten zu können. Ein amerikanischer Schüler, der sein Auto verkaufte, um das fehlende Geld für die Reise aufzutreiben, sei hier besonders erwähnt.

Mr Liepert ging es bei dieser Fahrt nicht vorrangig um die akademische Erfahrung und die Verbesserung der Sprachkenntnisse, sondern vielmehr um den menschlichen, sozialen Aspekt, bei dem man eben nicht aus der Distanz des Besuchers Land und Leute kennenlernt. Die Schüler sollen auf beiden Seiten des Ozeans Teil der Familien sein, was Mr Liepert sehr anschaulich durch seine inzwischen legendär gewordene Formulierung vom „walking in someone else’s moccasins“ ausgedrückt hat.

Die Gruppe verbrachte zunächst eine Woche am Goethe-Gymnasium in Frankfurt, um dann das Rheingau-Gymnasium in Geisenheim zu besuchen. Herr Alois Will hatte sich bereit erklärt, die Betreuung zu übernehmen und trat im folgenden Jahr zusammen mit Frau Logaras, damals Fräulein Kilbel, den Gegenbesuch an – mit dem Schiff.

Wegen einer Erkrankung von Herrn Alois Will unmittelbar vor einer weiteren Fahrt, musste sehr kurzfristig ein Ersatz gefunden werden. Dieser fand sich spontan in der Person von Herrn Helmut Strothjohann (jung und flexibel), der das Austauschprogramm vom Rheingau-Gymnasium zur St. Ursula Schule brachte und über viele Jahre mit wechselnder Begleitung leitete. Im Jahr 1990 fragte mich Herr Strothjohann – er war 5 Jahre lang mein Klassen- und Englischlehrer, 3 Jahre mein Lateinlehrer, wir haben 2 Klassenfahrten gemeinsam überstanden und waren nun mittlerweile Kollegen – ob ich mir vorstellen könne, an der USA-Fahrt als weibliche Begleitung teilzunehmen. Und wie ich mir das vorstellen konnte! Allerdings antwortete ich: „Nicht ohne meine Männer.“ Denn was ich mir nicht vorstellen konnte, war mein damals zweieinhalbjähriges Kind allein zu lassen; also machte sich die komplette Familie Faust auf den Weg in die Neue Welt.

Die erfahrenen Austauschlehrer Mr Liepert und Herr Strothjohann führten mich in unser Austauschprogramm ein, das mittlerweile von Wisconsin nach Texas an die Southwest High School in Fort Worth verlegt worden war. Herr Strothjohann leitete den Austausch mit dieser Highschool über viele Jahre bis zu seiner Pensionierung. Die Zukunft des Programms lag ihm am Herzen, und so fragte er mich dieses Mal, ob ich mir vorstellen könne, die Leitung des Programms zu übernehmen – ich konnte.

Bis zur Übernahme des Programms hatten sich das wirtschaftliche und soziale Umfeld von Fort Worth verändert, was dazu führte, dass Spanisch die bevorzugte Fremdsprache an der Schule wurde, immer weniger Schüler Deutsch als Fach belegten und somit entsprechend wenige Gastfamilien zur Verfügung standen. Eine neue Schule musste gefunden werden.

Mit der Unterstützung von Mr Liepert gelang es mir, die Dodgeland High School in Juneau, Wisconsin für unser Projekt zu gewinnen – womit wir „back to the sixties“ und „back to the roots“ waren. Im Jahr 2002 habe ich dann eigenverantwortlich den Austausch von Herrn Strothjohann übernommen und mit der Deutschlehrerin der Dodgeland High School Sandie Rettschlag – einer Studienfreundin von Mr Liepert – eine wunderbare Kollegin bekommen.

Zu jener Zeit gab es an der St. Ursula Schule keinen männlichen Englischlehrer, d.h. ein weiteres Problem musste gelöst werden. Mein mittlerweile in Sachen Austausch erfahrener Mann konnte von der fantastischen Idee, als ‚Nicht-Lehrer‘ zwei Wochen seines Jahresurlaubes im tiefsten Wisconsin mit 20 Oberstufenschülern zu verbringen, überzeugt werden und erklärte sich schließlich bereit, ‚einzuspringen‘. Von da ab unternahm die inzwischen vierköpfige Familie Faust mehrere Fahrten in den amerikanischen Mittleren Westen und betreute die entsprechenden Gegenbesuche in Geisenheim. 2004, als Herr Faust aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Fahrt teilnehmen konnte, sprang Mike Wessel – wieder einer, der jung und flexibel war – kurzfristig ein und unterstützte mich. „History repeats itself“ – kam mir in den Sinn als wir auf dem Weg zum Flughafen in der S-Bahn saßen: vor gar nicht allzu langer Zeit war Mike Wessel noch mein Schüler, dann mein Kollege und nun Begleiter in die USA. Die Erinnerung an die Strothi-Faust-Kombi drängte sich auf, gepaart mit einer gehörigen Portion Sentimentalität darüber, wie schnell doch tatsächlich die Zeit vergeht.

Die Routine von alternierenden Fahrten – die deutschen Schüler fahren in geraden Jahren in die USA, die amerikanischen Schüler kommen in ungeraden Jahren nach Deutschland – konnte über Jahre fortgesetzt werden bis Sandie Rettschlag verkündete, sie gehe in den wohlverdienten Ruhestand, und es gäbe keinen Nachfolger für sie an der Dodgeland High School. Wieder war es der Gründervater Mr Liepert, der mir half, eine neue Schule zu finden. Nun hieß es „zurück nach Texas“.

Wie Herr Strothjohann hatte auch Mr Liepert für sich einen Nachfolger ins Auge gefasst und eingearbeitet: Mr Steve Bourgeois war der Mann der neuen Stunde. Er war nach langer Pause zurück im ‚Austauschgeschäft‘ und zwar mit einer neugegründeten sogenannten ‚charter school‘ in Lewisville, Texas (Bezirk Dallas/Fort Worth). 2008 fuhren wir ins sonnige Texas an eine Schule mit damals knapp 50 Schülern – wieder ein Neuanfang, jedoch mit alter Besetzung. Dann endlich im Jahr 2010 gab es Unterstützung für das Faust-Team, an dem der Zweieinhalbjährige von damals mittlerweile als assistant teacher teilnahm, durch Herrn Lutz Daniel.

Mr Bourgeois, mittlerweile Dr Bourgeois hat die Schule verlassen, um an einem College zu unterrichten, aber sein Kollege, der amerikanische Schülergruppen schon zweimal mit ihm nach Deutschland begleitet hat, wird die Leitung des Programms von Dr Bourgeois übernehmen und unsere nächste Gruppe im Oktober 2014 an einer High School (ca. 3000 Schüler) in Keller, ebenfalls ein Stadtteil von Fort Worth, begrüßen.

 

„… and so it goes on, and on, and on …“ – zumindest ist das meine große Hoffnung!

Es ist ein traditionsreiches Programm, das jungen Menschen eine fantastische Möglichkeit bietet, Grenzen zu überwinden und Vorurteile abzubauen. Es hat viele, viele Freundschaften hervorgebracht, die zum Teil seit Jahrzehnten bestehen. Sogar eine Ehe ist aus dem Austauschprogramm entstanden.

Es braucht junge, flexible Menschen, die bei Bedarf zur Verfügung stehen sowie beständige Begleitung, um solch ein Programm am Leben zu erhalten. Ich wünsche mir für zukünftige Schülergenerationen, dass es die entsprechenden Personen weiterhin geben wird, sodass es nach dem kürzlich gefeierten 50. Jubiläum noch viele weitere geben wird – das 100.!?

Roswitha Faust

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